Schwelbrand

Es war ein heißer Tag. Die Sonne brannte unerbittlich auf das Schlachtfeld herab, und Ismael schwitzte stetig unter seiner hellgrauen Kampfrüstung. Seiner Stute Glut ging es nicht anders. 
Mehrmals während der Schlacht hatte er sich von der Frontlinie entfernt, um sich und ihr im Lager einen Moment der Ruhe und einen Schluck Wasser zu genehmigen. 
Ismael war von den besten ausgebildet worden, und seine Ausbilder hatten ihm stets eingeschärft, auf sein Pferd achtzugeben. 
Ismael war gut ausgebildet worden, und er erinnerte sich an seine Ausbildung. Dutzende Heiden waren heute unter seiner Hellebarde gefallen, doch an diesem Tag, selbst nach einem Triumph wie diesem, schmeckte der Sieg wie Asche in seinem Mund.

Denn die Sonne brannte heiß, doch Ismaels Hass brannte heißer.

Seinen Blick über das Schlachtfeld und die in der Ferne schwelende Stadt der Heiden schweifen lassend, wandte er sich ab. 
Hier im Lager erreichte ihn der überwältigende Gestank des Kampfes auf Leben und Tod nur schwach. 
Die erste und die dritte Brigade hatten wie erwartet hervorragende Leistung erbracht. 
Ismael hatte nichts anderes von seinen Leuten erwartet; Nicht ein Mal waren sie zurückgetrieben worden. Die Heiden waren in einem unaufhaltsamen Sturm aus Klingen, Hufen und heiliger Magie zerschmettert worden. 

Doch nichts davon hatte Ismaels Hass lindern können. Es war ein ihm fremdes Gefühl. bemerkte er am Rande seines Bewusstseins. Natürlich verspürte er rechtschaffenen Zorn und nutzte ihn im Kampf als Waffe, ebenso wie seine Hellebarde. 
Doch zuallermeist verspürte er eine Art von Mitleid; Jeder Feind der unter seiner Klinge fiel würde nie die wahre Größe des Lichts verspüren, und dafür bemitleidete der Brigadegeneral ein jedes Lebewesen.
Doch Hass, ein so tiefer Hass, dass er die Tiefen seines Wesens erfüllte und ihm die Sinne vernebelte, der war ihm neu. 

"General, soll ich eure Wunden-"

"NEIN!"

Noch bevor sich Ismael überhaupt bewusst geworden war wer ihn dort ansprach, hatte sein Körper bereits reagiert. Seine blutbefleckte Hellebarde schwang an ihrem langen Stiel herum, und es forderte von Ismael sowohl seine gesamte Willenskraft als auch die ganze Stärke seiner Arme, um sie vor ihrem Ziel zum Halt zu bringen. 
Vor ihm stand ein Mädchen, jung noch, beinahe ein Kind, und Ismael erkannte sie. Sie war Teil der Diener die die Kampfgruppe begleiteten und sich um die Bedürfnisse der Soldaten kümmerten, und am Abend zuvor hatte sie ihm Essen ins Zelt gebracht. Dalia? Delia? Er wusste es nicht mehr.
Zitternd standen sie beide da. Die Augen des Mädchens waren unendlich angsterfüllt, aber sie wagte es nicht, sich zu rühren. 
So bedingungslos war ihr Gehorsam Ihm, ihrem kommandierenden Offizier, gegenüber. 

Ismael ließ seine Waffe fallen. "Es tut mir leid. Das Licht segne dich." murmelte er. Dann stolperte er davon ohne sich noch einmal umzudrehen und bemerkte nur noch aus dem Augenwinkel, dass das Mädchen, noch immer zitternd, das Tötungswerkzeug aufhob. Sie würde es in sein Zelt bringen, daran hatte er keinen Zweifel. Vermutlich würde sie es sogar für ihn reinigen, das Ding, das ihr fast den Tod gebracht hätte. Er würde sich später angemessen bei ihr entschuldigen. Vielleicht würde er sie ein paar Tage vom Dienst freistellen. Die Stadt, die sie heute hatten verwüsten müssen, war sowieso kein Anblick für so zarte Augen wie ihre.

Doch jetzt war dafür keine Zeit. Ismael hob seinen Blick. 
Das Lager war mit militärischer Präzision errichtet worden. Reihe um Reihe an Zelten lagen dich aneinander, wobei sie klare, breite Wege für die Pferde freiließen.
Und am Ende der Reihen, leicht verdeckt von der in der Hitze flirrenden Luft, lag das grellweiße Kommandozelt. Es ragte über den anderen Zelten auf, und noch heute morgen hatte er selbst dort drinnen gestanden und war mit den anderen Offizieren ein letztes Mal den Schlachtplan durchgegangen. Das Kommandozelt war ihm auf seinen zahlreichen Feldzügen ein Ort der Ruhe und der Sicherheit geworden. 
Doch heute lauerte es geradezu auf ihn, und die zurückgeschlagenen Zeltplanen an der Front wirkten beinahe wie der geöffnete Schlund einer wilden Bestie. 

Wie in einem Fiebertraum stand er plötzlich davor. Er konnte sich nicht an den Weg erinnern, aber seine Füße schmerzten mit Sicherheit genug um Zeugen desselben zu sein.

"Komm herein."

Eine sanfte Stimme bat ihn hinein, doch Ismael wusste, dass es in Wahrheit ein Befehl war. 
Einen tiefen Atemzug gestattete er sich, dann trat er vor.
Die Zeltplanen schirmten ihn von der Sonne ab, doch auch die Kühle des Schattens vermochten das Feuer in ihm nicht zu lindern. 

Generalmajor Samhail empfing ihn in voller, strahlend weißer Rüstung und mit einem stolzen Lächeln.
Noch bevor Ismael sich sammeln konnte, sprach er bereits. 
"Du hast dem Licht und unserer Division heute Ehre gebracht. Sehr gute Arbeit, mein Sohn. Du kannst stolz auf dich sein."

Unter allen anderen Umständen hätten diese Worte aus dem Munde seines größten Vorbilds und direkten Vorgesetzten Ismael wahrhaft mit Stolz erfüllt. Doch an diesem Tag spürte er unter all der Erschöpfung der Schlacht und dem Hass nur, wie sich sein gesamtes Inneres zusammenkrampfte. 

Und dann platzte es aus ihm heraus, er erbrach die Worte förmlich, befleckte den kostbaren Teppich mit der grausamen, unbegreiflichen Wahrheit. 

"Camael ist desertiert."

Es fühlte sich gut an, das Unvorstellbare mit Samhail zu teilen. So gut, dass er es noch einmal wiederholte, und diesmal schrie er seine ganze Enttäuschung und seinen ganzen Frust in den Himmel hinaus.

"CAMAEL IS DESERTIERT!"

Sturmwolken türmten sich auf Samhails Stirn. "Still. Niemand soll davon hören." Pragmatisch wie immer dachte der Generalmajor stets lösungsorientiert. Obwohl Ismael seine Emotionen zumindest teilweise an seinem Gesichtsausdruck ablesen konnte, verströmten seine Körperhaltung und seine Stimme trotzdem eine fundamentale Ruhe, und Ismael hielt sich daran fest.
"Ja, Sire."

"Wer hat die Schande gesehen?" 
"Nur ich, Sire. Zumindest bin ich mir dessen recht sicher. Die Wogen der Schlacht hatten Camael an den Rand abgeschlagen, nachdem er den Flankenangriff kommandiert hatte. Die Männer werden sich über seine Abwesenheit gewundert haben, aber nur ich bin Zeuge der Schandtat." Ismael wunderte sich, wie wenig seine Stimme nur noch zitterte. 

Samhail antwortete, und diesmal war seine Stimme Stahl.
"Das ist gut. Sehr gut. So sehr dieser Vorfall die Ehre unserer Division beschmutzt, werden wir unseren Auftrag hier ausführen. Wir werden diese Stadt befrieden und der Güte des Lichts zuführen. 
Und dann, mein Sohn, wirst du dich darum kümmern. Du bekommst die ganze Mannstärke die du brauchst. Verstärkung aus der Heimat wird bald eintreffen und wird vereinen unsere Kräfte in einer Woche mit der Fünften, also ist unser Siegeszug dadurch nicht gefährdet. Du wirst diesen Schandfleck verschwinden lassen, verstehst du? Du wirst ihn ausmerzen, als hätte es ihn nie gegeben. Du wirst.."

"Nein."

Einen kurzen, panik- und adrenalinerfüllten Moment lang dachte Ismael, er hätte selbst gesprochen. Doch dann realisierte er, dass die Stimme von hinter ihm gekommen war. Samhail fiel sofort auf die Knie, und Ismael tat es ihm nach. Er hatte diese Stimme in seinem Leben erst wenige Male gehört, doch die ihre innewohnende Sanftheit war einzigartig.

Der Prophet sprach, und Ismael hörte. 
Der Prophet sprach, alles in ihm verdrehte sich. 
Der Prophet sprach, und sein Plan war Gesetz.
Der Prophet sprach, und Ismael wollte stampfen und toben, und Ismael gehorchte.

Und die ganze Zeit betete er wie verrückt. Er betete an das Licht und alle anderen Götter, die ihn erhören mögen. Er betete um Vergebung und Absolution, er betete um einen Gnadentod und darum, seine Taten mögen ungeschehen gemacht werden. Und am meisten betete er darum, der Prophet möge nicht wirklich Gedanken lesen können.

Denn Ismael, Brigadegeneral der ersten Division der glorreichen Armee der Lichtbringer, hatte nicht die gesamte Wahrheit erzählt.

Sein Bruder-im-Geiste Camael, der immer da gewesen war, den er gehasst und geliebt und beneidet und verflucht hatte, hatte bei seiner Flucht sein Pferd zurückgelassen. Und er, Ismael, hoch zu Ross an der Spitze seiner Phalanx, hatte ihn gesehen. 

Und er hatte gezögert. Er hatte ihn gehen lassen. Er allein.

Der Hass, der seine Zähne klappern ließ und in so unfassbar sehr ausfüllte dass er glaubte zu platzen, war kein Hass auf Camael.

Es war ein Hass auf ihn selbst.

Denn Brigadegeneral Ismael von der ersten Division war ein Verräter. 
 


















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